Reden, Aufsätze und Artikel, diein den 60er und 70er Jahren veröffentlicht wurden.

 

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1967-1971? Rede zu Militärfragen
AG Heinz Hoffmann
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Rede zu Militärfragen

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Armeegeneral Heinz Hoffmann vor Hörern der Parteihochschule, zwischen 1967 und 1971*


Liebe Genossinnen und Genossen!

Es ist zu einer guten Tradition geworden, daß leitende Kader der Nationalen Volksarmee vor den Hörern der Parteihochschule auftreten. Darin spiegelt sich die Auffassung unserer Partei wider, daß die Militärfrage untrennbar mit der sozialistischen Revolution, mit der ständigen 'Festigung des sozialistischen Staates und der Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft verbunden ist, daß sie folglich nicht allein die Angelegenheit von Militärspezialisten sein kann, ebenso wie wir Soldaten kein Eigenleben führen können, entfernt von gesamtgesellschaftlichen Problemen und Erfordernissen.

Es ist nicht zufällig, daß wir erst in den letzten Jahren vom „System der Landesverteidigung" sprechen, weil vornehmlich nach dem VI. Parteitag unserer Partei die umfassende Gestaltung dieses Systems (begann und vom VII. Parteitag die Aufgabe gestellt wurde, es als Bestandteil des Gesamtsystems des Sozialismus voll zu entwickeln — und zwar zugleich auf einem höheren Niveau der inneren Verflechtung. Sicher hat es auch schon vorher die Grundfunktion der Verteidigung des sozialistischen Vaterlandes und die entsprechenden Organe gegeben, aber diese entstanden infolge unserer historischen Bedingungen erst allmählich und wirkten zunächst weitgehend unabhängig voneinander. Ihre zentrale Ausrichtung erfolgte fast ausschließlich unmittelbar durch die Partei- und Staatsführung. Seit 1961 hat unsere Parteiführung schrittweise das gegenwärtige System der Landesverteidigung entsprechend den Bedingungen der Deutschen Demokratischen Republik konzipiert und gestaltet — als einen Komplex von vielfältigen, sich wechselseitig bedingenden oder ergänzenden Teilsystemen, in denen der zunehmenden imperialistischen Bedrohung begegnet und die Verteidigungsfähigkeit des Staates sowie aller seiner Bürger auf den erforderlichen Stand gebracht wird, um jede Art von Aggression gemeinsam mit unseren Koalitionspartnern zu zerschlagen. Diese Entwicklung, die durch den VII. Parteitag eine neue Grundlage erhielt, theoretisch vertieft und praktisch forciert wurde, verlangt heute namentlich von den Leitern und Parteifunktionären auf allen Ebenen und in allen Bereichen — im militärischen wie im außermilitärischen — ein Denken im größeren und weiteren Rahmen. Auf der wissenschaftlichen Session zum 150. Geburtstag von Karl Marx sagte Walter Ulbricht: „In den Mittelpunkt der Führungstätigkeit der Partei wird jetzt die Aufgabe der Organisation und Koordinierung der verschiedenen Teilsysteme. Elemente und gesellschaftlichen Verhältnisse des Sozialismus gestellt.
[...]
einem .Bereich getroffen werden, unvermeidlich entscheidende Auswirkungen in anderen Bereichen des Gesamtsystems haben. Das aber heißt für die leitenden Kader in der Nationalen Volksarmee, bei der Vorbereitung grundsätzlicher Entscheidungen stets zwei Dinge zu bedenken: einmal die Funktion der Landesverteidigung im gesellschaftlichen Gesamtsystem. und zum anderen die Auswirkungen der militärischen Maßnahmen im gesamtgesellschaftlichen Rahmen. Das heißt für die leitenden Kader in der Wirtschaft und im Staatsapparat und vor allem für die Funktionäre unserer Partei, bei ihren grundsätzlichen Entscheidungen und Maßnahmen auch nach den Auswirkungen auf die Belange der Landesverteidigung zu fragen und einen um Rahmen der gesamtgesellschaftlichen Forderungen optimalen Nutzeffekt für die Landesverteidigung zu gewährleisten.

Um aber in Eurem künftigen Arbeitsgebiet fach- und sachkundig die auf Euch zukommenden Fragen der Zivilverteidigung, der Militärökonomie, der militärpolitischen Lageeinschätzung, der sozialistischen Wehrerziehung und der Auffüllung der Streitkräfte, um einige herauszugreifen, zu beantworten, dazu bedarf es schon eines Minimums an Kenntnissen zur Militärpolitik und Militärwissenschaft. Wir sind uns dabei natürlich völlig im klaren, daß die Hauptverantwortung und die Hauptarbeit im System der Landesverteidigung und in seiner Einordnung in das gesellschaftliche Gesamtsystem immer auf den Schultern der Militärs liegen wird, im zentralen wie im territorialen Rahmen. Dafür hat uns die Partei ausbilden lassen, dafür hat sie uns mit unseren Funktionen betraut, vom Minister bis zum Regimentskommandeur oder Leiter eines Wehrkreiskommandos. Aber die Streitkräfte sind ein Instrument der Politik, und die politische Führung muß folglich wissen, welche Leistungsfähigkeit und Möglichkeiten ihr Instrument besitzt, welche Bedingungen bei seinem Einsatz zu berücksichtigen sind. Gestattet mir, die wichtigsten Anliegen dieser vergangenen Lektionsreihe kurz zu skizzieren. Die Leitung der Parteihochschule und des Ministeriums für Nationale Verteidigung beabsichtigten bei der Durchführung dieser Lektionsreihe:

  1. die Hörer der Parteihochschule mit den Grundzügen des militärwissenschaftlichen Erbes Lenins vertraut zu machen, vor allem mit seiner Lehre von der Verteidigung des sozialistischen Vaterlandes;
  2. die Wissenschaftlichkeit und Unbesiegbarkeit des sozialistischen Militärprogramms sowie seine schöpfepische Anwendung und Weiterentwicklung durch unsere Partei zu begründen;
  3. ein Bild von den entscheidenden Positionen im internationalen militär-strategischen Kräfteverhältnisse zu vermitteln;
  4. Vorwärtsstrategie vertraut zu machen;
  5. aus den Tendenzen der internationalen und nationalen militärpolitischen Situation, aus den objektiven Forderungen der wissenschaftlich-technischen Revolution und aus den höheren Aufgaben 'zur Schaffung des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus die derzeitigen und kommenden Erfordernisse zur Weiterentwicklung des Systems der Landesverteidigung in der DDR abzuleiten;
  6. die sich aus diesem ganzen Komplex von objektiven Bachverhalten und Notwendigkeiten ergebenden Forderungen unserer Parteiführung zur sozialistischen Wehrerziehung der Bevölkerung herauszuarbeiten.

Wann können wir sagen, daß dieser militärtheoretische Vortragszyklus sein Ziel erreicht hat?

Er hat seine Aufgabe erfüllt,

  • wenn Ihr künftig die Entwicklung der politischen Lage auch unter den sich ebenfalls verändernden militärpolitischen und militärstrategischen Aspekten seht und beurteilt;
  • wenn Ihr in Eurer praktischen Tätigkeit von dem Zusammenhang zwischen Ökonomie, Politik und Landesverteidigung ausgeht;
  • wenn Ihr, jeder in seinem Bereich, noch wirksamer als bisher dafür sorgt, daß die verantwortlichen Staats- und Wirtschaftskader sowie alle Mitglieder der Partei nach dem Grundsatz handeln: „Das entwickelte Gesellschaftssystem des Sozialismus errichten, das heißt auch, den bestmöglichen persönlichen Beitrag zur Landesverteidigung leisten!"
  • wenn Ihr Euch, liebe Genossinnen und Genossen, noch verantwortungsbewußter und zielstrebiger als bisher überall dort, wo unsere jungen Menschen sozialistisch erzogen werden, dafür einsetzt, daß klassenmäßige Erziehung mehr erfordert, als das Ja zum Sozialismus, das Ja zur gesicherten Existenz mit optimistischer Perspektive, daß klassenmäßige Erziehung bis zu der Konsequenz hingeführt werden muß, für das sozialistische Vaterland mit der Waffe einzustehen und bis zum letzten zu kämpfen, wenn es notwendig werden sollte!

Wenn die Vorträge Euch in dieser Richtung unterstützen konnten, dann haben wir viel erreicht. Dann ist es den leitenden Genossen und den Wissenschaftlern der Nationalen Volksarmee gelungen, ein Stück Systemdenken praxiswirksam zu machen, so wie es der VII. Parteitag fordert und wie es vom 6. Plenum erneut unterstrichen wurde.

Es erscheint mir zum Abschluß des Zyklus angebracht, das, was in den Vorträgen zum System der Landesverteidigung der DDR in unterschiedlichen Zusammenhängen und jeweils in spezifischer Absicht gesagt wurde, zum Zwecke besserer Überschaubarkeit noch einmal zusammenzufassen und dabei auch auf die praktische Funktionstüchtigkeit unseres Systems der Landesverteidigung einzugehen.

Der Struktur nach setzt sich unser System der Landesverteidigung aus mehreren Hauptbereichen zusammen:

Erstens aus den mobilen militärischen Kräften, bestehend aus

a) den in die Vereinten Streitkräfte eingegliederten Verbänden und Truppenteilen der Nationalen Volksarmee und

b) den Grenztruppen.

Zweitens aus den territorial gebundenen Kräften der Landesverteidigung, bestehend aus

a) den territorialen Stäben, Truppen und Einrichtungen der Nationalen Volksarmee;

b) den Organen der Staatssicherheit und der Deutschen Volkspolizei, soweit sie Aufgaben im Interesse der Landesverteidigung erfüllen;

c) den Kampfgruppen der Arbeiterklasse und

d) den Stäben, Formationen, Aufklärungskräften und Spezialeinrichtungen der Zivilverteidigung.

Diese territorial gebundenen Kräfte der Landesverteidigung haben in aller erster Linie das eigene Territorium zu sichern, vor allem gegen eingeschleuste Saboteure, Agenten und bewaffnete Banden. Sie haben weiterhin die Marschbewegungen unserer Truppen und der verbündeten Armeen zu sichern, die auf unserem Territorium kämpfen. Nicht zuletzt — und das ist eine außerordentlich umfangreiche Aufgabe — müssen sie den Schutz der Zivilbevölkerung gewährleisten.

Drittens gehören zu diesem System der Landes Verteidigung diejenigen staatlichen und volkswirtschaftlichen Organe und Einrichtungen, die Aufgaben zur Sicherstellung der bewaffneten Kräfte sowie zur operativen Vorbereitung das Territoriums zu erfüllen haben. Das sind alle die, die für die materielle Ausrüstung, die medizinische Betreuung und die personelle Auffüllung zu sorgen haben. Wenn wir von der operativen Vorbereitung des Landes sprechen, so meinen wir damit, daß beim Ausbau des Netzes der Verkehrswege oder der Fernmeldeverbindungen bestimmte Forderungen der Armee berücksichtigt werden, die ihr die Nutzung erleichtern. Das betrifft solche Dinge, wie die Tragfähigkeit der Brücken oder die Nutzung von Autobahnabschnitten als Start- und Landebahnen.

Militärische Forderungen gilt es künftig zum Beispiel stärker bei der 'Entwicklung ziviler Kraftfahrzeuge zu beachten, so hinsichtlich ihrer Geländegängigkeit, um eine größere Bodenfreiheit zu erreichen. Ich möchte hier nicht unsere Autoindustrie für den neuen Wartburg tadeln — im Gegenteil, ich fahre ihn selber sehr gern —, aber auf Feld- und Waldwegen ist der Moskwitsch eindeutig besser, und das auch deshalb, weil in der UdSSR von Anfang an der militärischen Nutzungsmöglichkeit aller Kraftfährzeuge große Beachtung geschenkt wurde — eine Tatsache, die 'sich im Großen Vaterländischen Krieg außerordentlich bewährt hat.

Viertens gehören wissenschaftliche und Bildungseinrichtungen der bewaffneten Organe zum System der Landesverteidigung. Das ist natürlich ein sehr wesentlicher Bereich der Landesverteidigung, denn dort wird der wissenschaftliche Vorlauf in Abstimmung vor allem mit den militärwissenschaftlichen Einrichtungen der Sowjetarmee geschaffen, und zum anderen werden die Führungskader der Landesverteidigung herangebildet. Wenn auch die Voraussetzungen dafür heute bedeutend besser sind als vor zehn oder selbst noch vor fünf Jahren, weil sich der Bildungsstand bei uns wesentlich entwickelt hat, so sind aber auch die Anforderungen gewachsen. Folglich müssen "wir heute zum Beispiel davon ausgehen, daß nur noch junge Menschen mit dem Wissen eines Abiturienten Offiziersschüler werden können. Wir nehmen natürlich auch lO - Klassen-Schüler, aber die fachliche Ausbildung verlangt das Wissen eines Abiturienten, mindestens in den naturwissenschaftlichen Fächern. Das ist auch nur zu verständlich, wenn man bedenkt, in welchem Maße beispielsweise die Elektronik in der modernen Luftverteidigung, bei der Raketentruppe. immer mehr auch bei der Panzertruppe, der Artillerie und sogar den Mot-Schützen Einzug hält. Den Infanteristen im alten Sinne gibt es in unserer Armee nicht mehr. Auch der Mot-Schütze ist heute mit gepanzerten Gefechtsfahrzeugen, Fernmeldemitteln und automatisierten Waffen ausgerüstet und wird immer moderner damit ausgerüstet werden.

Fünftens gehören die staatlichen und gesellschaftlichen Organisationen und Einrichtungen zur sozialistischen Wehrerziehung der Bevölkerung', zur vormilitärischen Ausbildung der Jugend und zur militärischen Ausbildung von Reservisten dazu.

Diese Organe sorgen für die Entwicklung der Wehrbereitschaft und die Befähigung des ganzen Volkes, den Dienst in den Streitkräften und die Aufgaben der Zivilverteidigung zu unterstützen. Es ist doch klar, daß eine Volksarmee nur existieren kann, wenn die Bereitschaft der jungen Bürger für den Dienst in der Armee entwickelt wird. Für uns ist derjenige Wehrpflichtige der geeignetste, wenn .ich so sagen darf, für die Ausbildung im Waffenhandwerk, der zumindest mit der ideologischen Klarheit, der Erkenntnis über die Notwendigkeit dieses Dienstes zu uns kommt. Für uns ist nicht das Wichtigste, daß er schießen oder Auto fahren kann. Wir freuen uns darüber, aber das Wichtigste ist, daß er nicht nur sagt: „Das ist ein wunderbarer Staat, hier verdiene ich gut und habe alle Entwicklungsmöglichkeiten!" Das Wichtigste ist, daß er bis zum letzten .erfüllt ist von seiner Klassenpflicht und seiner Klassenehre, diesen sozialistischen Staat, der ihm ein solches Leben, eine solche Perspektive bietet, zu verteidigen!

Alle jungen Wehrpflichtigen, die zu uns kommen, sind für unseren Staat, freuen sich, in diesem schönen 'Staat zu leben. Sie sind auch bereit, für diesen Staat zu arbeiten und zu kämpfen. Manche von ihnen begreifen aber noch nicht die ganze Größe der Gefahr, die uns von Seiten des westdeutschen Imperialismus und Revanchismus droht.

Es gibt ganz offensichtlich in gewissen Kreisen unserer Bevölkerung noch Illusionen darüber, welchen 'Grad der Gefährlichkeit und der Abenteuerlichkeit der westdeutsche Militarismus bereits wieder erlangt hat. Die Auseinandersetzung mit diesen Illusionen ist folglich eine wichtige Seite in der militärpolitischen Agitation und Propaganda .sowie in der sozialistischen Wehrerziehung unseres Volkes.

Es gibt eine Reihe von Anforderungen an das System der Landesverteidigung, die aus der Grundforderung abgeleitet werden, daß wir besser auf den Krieg vorbereitet sein müssen als der Aggressor, Maßgeblich beeinflußt werden diese Anforderungen von den Aggressionsvorbereitungen des imperialistischen Gegners, von der Revolution im Militärwesen und vom wahrscheinlichen Charakter möglicher Kampfhandlungen auf deutschem Boden. Die Raketenkernwaffen und die militärische Verwendung der Elektronik lassen den modernen Krieg zu einem derartig komplizierten und schnell verlaufenden Prozeß werden, daß ein Staat die großen Anforderungen und Belastungen nur dann tragen kann, wenn alle gesellschaftlichen Bereiche ihren Beitrag zur Kriegführung leisten und wenn diese Leistungen sorgfältig vorbereitet und aufeinander abgestimmt, sind. Wenn es den Imperialisten gelingen sollte, einen dritten Weltkrieg zu entfesseln, dann wird er äußerst kompliziert, äußerst, real und schnell verlaufen — und zwar zuungunsten der Imperialisten. Und darauf vorbereitet zu sein ist die Aufgabe zumindest für uns Soldaten, aber auch für unsere Werktätigen. Wir müssen im Falle eines Krieges auf deutschem Boden sehr bald. wenn nicht sofort, mit dem Einsatz von Massenvernichtungsmitteln, mindestens mit Kernwaffen geringer und mittlerer Detonationsstärke, rechnen, und zwar in der ganzen Tiefe unseres Territoriums. Denn der westdeutsche Imperialismus würde diesen Krieg unter Einsatz aller seiner Kräfte und mit dem Ziel führen, die Staats- und Gesellschaftsordnung unserer Republik unbedingt zu zerschlagen.

Die erste Anforderung an das System der Landesverteidigung besteht folglich darin, daß es umfassend sein muß, das heißt, daß es alle gesellschaftlichen .und staatlichen Bereiche auf den modernen Krieg vorbereiten muß. Die Tätigkeit des Nationalen Verteidigungsrates als des höchsten Führungsorgans in allen Fragen der Landesverteidigung ist darauf gerichtet, im Rahmen der sozialistischen Militärkoalition alle Reserven unseres Staates und der Gesellschaft auf ihre Mobilisierung für den Verteidigungsfall vorzubereiten und unseren Beitrag zur erforderlichen militärischen Überlegenheit der sozialistischen Staaten über die imperialistischen Mächte und ihre Streitkräfte zu leisten.

Aus mehreren Gründen ist dies ein sehr komplizierter Prozeß. Eine heute errungene Überlegenheit kann morgen schon nicht mehr gesichert sein, weil der Gegner ebenfalls -unablässig bemüht ist, besonders auf den entscheidenden Teilgebieten einen Vorsprung zu erzielen. Diese Erkenntnis zwingt dazu, die Entwicklung des Militärwesens prognostisch einzuschätzen, die Konzeption des Gegners und den Stand seiner Aggressionsvorbereitung fortwährend zu analysieren und danach zu entscheiden, welche Vorbereitungsmaßnahmen erforderlich sind, um das Kräfteverhältnis nachhaltig zu unseren Gunsten zu gestalten.

Das heißt, Genossen, nicht etwa innerhalb von zehn Jahren, sondern alle zwei bis drei Jahre wird der Kampf aufs neue entschieden, wer auf diesem oder jenem Teilgebiet einen Vorsprung hat. So ist es bei den Panzern, so ist es bei den Schützenwaffen, ich spreche schon gar nicht von den Kernwaffen, von der U-Boot-Waffe und vielen anderen, sehr teuren Angelegenheiten. Aber diese Frage wird auch bei uns zum Teil mitentschieden, zum Beispiel auf dem Gebiet der Optik oder der Strahlungsaufklärung. Ich meine, auch wir haben auf den Gebieten, die uns auferlegt sind, dafür zu sorgen, daß wir immer den Vorsprung halten.

Zur Überlegenheit in den taktisch-technischen Eigenschaften der Waffen muß die Zahl der Waffen kommen, aber auch der Grad der einheitlichen Ausstattung verbündeter Armeen, vor allem aber, und das ist das entscheidende, der Grad der Beherrschung dieser Kampfmittel durch die Besatzungen und Bedienungen, die Schnelligkeit der Wartung, Instandsetzung sowie vieles andere mehr — wobei wir ohne Zweifel im Vorteil sind, schon aufgrund der einheitlichen Ausrüstung. Vor kurzem hat der Inspekteur der westdeutschen Landstreitkräfte, General Moll, gesprochen, und er hat außerordentlich bedauert, daß man in der NATO nicht zu einer Übereinstimmung in der Bewaffnung kommen kann, während die kommunistischen Armeen diesen Vorteil haben, daß sie einheitlich ausgerüstet sind, weil sie angeblich alle unter dem Diktat der Sowjetunion leben. Wenn man von dieser absurden Begründung absieht, hat er recht. Aber Herr Moll wird nie begreifen, warum sich die Kapitalisten nicht in gleichem Grade wie wir einigen können. Und zwar deshalb nicht, weil dort die Profitinteressen miteinander konkurrierender Monopole trotz aller internationalen Zusammenarbeit sehr stark das System der Bewaffnung und Ausrüstung der Armeen beeinflussen.

Prognostische Arbeit im Ringen um die militärische Überlegenheit heißt auch, in der eigenen Vorbereitung die wahrscheinlichen Angriffsmethoden des Gegners zu berücksichtigen. Um das zu illustrieren: Aus den Angriffs-, Methoden der amerikanischen Luftgangster in Vietnam und der Israelis während der Juni-Aggression sowie aus der Art, wie diese Angriff durch die westdeutsche Luftwaffe ausgewertet wurden, haben wir etliche Schlußfolgerungen für unsere eigenen Luftstreitkräfte gezogen, und zwar Schlußfolgerungen, deren Verwirklichung mit einem ganz erheblichen materiellen und finanziellen Aufwand verbunden war.

Eine zweite Anforderung an das System der Landesverteidigung besteht darin, daß es fest in das Verteidigungssystem der Warschauer Vertragsstaaten eingefügt sein muß. Diese Forderung zu verwirklichen heißt, bei grundsätzlichen Entscheidungen von der gesamtstrategischen Konzeption unserer Koalition auszugehen, die theoretischen Auffassungen der sozialistischen Militärwissenschaft wie auch die Struktur und die Bewaffnung unserer Waffenbrüder zu berücksichtigen. Außerdem heißt das, besondere Sorgfalt auf jene Aufgaben zu verwenden, die wir — die Nationale Volksarmee der DDR ~- im Interesse der gesamten Koalition zu erfüllen haben, so zum Beispiel darauf, die Bewegungsfreiheit und die verschiedenartige Sicherstellung der verbündeten Streitkräfte auf unserem Territorium zn gewährleisten.

Eine dritte Anforderung besteht darin, daß das gesamte System unserer sozialistischen Landesverteidigung einheitlich und straff, aber auch flexibel genug geleitet wird.

An die Führung eines militärischen Systems werden besonders hohe Anforderungen gestellt, -weil in keinem anderen gesellschaftlichen Bereich die Ereigebnisse so unmittelbar die Lebensfähigkeit beeinflussen. Fehlentscheidungen im Außenhandel — ich habe mir sagen lassen, es soll solche gegeben haben — bringen ökonomische Verluste, manchmal große, manchmal kleine. Sie bringen vielleicht auch Verluste im politischen Ansehen unserer Republik. Fehlentscheidungen im Kriege aber, die können die Existenz kosten. Die bewaffneten Kräfte sind eines der mächtigsten Instrumente der Politik. Sie müssen die Ziele der Staatsführung schnell und nachhaltig in die Tat umsetzen können. Das gilt besonders in einem modernen Krieg, in dem Entscheidungen großer Tragweite in kürzester Zeit getroffen und verwirklicht werden müssen. In einem Krieg ist außerdem die Führung und Sicherstellung des bewaffneten Kampfes, das kennt Ihr von Lenin, die Hauptfunktion der politischen und staatlichen Führung. Die Erhaltung und der Einsatz der Streitkräfte sind dann das wichtigste Anliegen der Partei- und Staatsführung.

Ein kleines Beispiel dazu: Im letzten Weltkrieg hatte ein Divisionskommandeur zur Entschlußvorbereitung, nachdem er von seinem vorgesetzten Stab den Befehl anzugreifen bekommen hatte, häufig mindestens 24 Stunden Zeit. Heute, unter den modernen Bedingungen, hat dieser Kommandeur in vielen Fällen nicht mehr als eine halbe bis eine Stunde. Das kann er natürlich nicht mehr mit früheren Methoden schaffen. Er und sein Stab müssen bei der normalen Entschlußfassung einige tausend Daten verarbeiten. Das geht nur noch mit halb- und vollautomatischen Apparaturen, Rechenmaschinen, Informationsspeichern usw.

Eine vierte Anforderung an das System der Landesverteidigung besteht darin, daß es seine Funktionsfähigkeit unter verschiedenen Bedingungen, auf verschiedene Art erhalten kann, das heißt, daß es auf verschiedene Kriegsarten vorbereitet sein muß.

Die bewaffneten Kräfte unserer Republik müssen schnell zu aktiven Handlungen übergehen können, sie müssen einen Kernwaffenüberfall des Gegners parieren, aber auch eine Aggression ohne Kernwaffeneinsatz oder Angriffe des verdeckten Krieges zerschlagen können. Ich möchte diese Anforderung an einem Beispiel illustrieren, das zeigt, wie wir uns auf einzelne Varianten einer gegnerischen Aggression einstellen und deren Zerschlagung in Übungen trainieren.

Ende April wurde eine Überprüfung der Einsatzbereitschaft der Einsatzleitungen, ihrer Stäbe und der bewaffneten Kräfte zweier Bezirke unserer Republik sowie der Gefechtsbereitschaft von Teilen der Grenztruppen durchgeführt. Bei dieser komplexen Überprüfung kam es darauf an, die volle Einsatz- bzw. Gefechtsbereitschaft der beteiligten Stäbe und Truppen herzustellen, ohne daß dem die Vorstufe, erhöhte Gefechtsbereitschaft, vorausgegangen wäre. Dort sollte ferner das Zusammenwirken zwischen den Einsatzleitung und den Grenztruppen der Nationalen Volksarmee in einer Spannungsperiode und im Verteidigungszustand erprobt werden. Es galt, subversive Handlungen des Gegners auf dem Territorium der Bezirke abzuwehren. wichtige Objekte militärischer, volkswirtschaftlicher und administrativer Bedeutung zu sichern, Maßnahmen zur Gewährleistung der Operationsfreiheit der Truppen und zur Beseitigung der Folgen gegnerischer Kernwaffenschläge durchzuführen.

(Hier fehlt ein Satz)

Es verstellt sich jedoch, daß dieser Prozeß wesentlich erleichtert wird, wenn schon vor Beginn des Wehrdienstes dafür gute Voraussetzungen geschaffen werden. Die älteren Genossen werden sich vielleicht noch an die Schulverhältnisse in der Weimarer Republik erinnern. Vom ersten Tag an wurden wir dort militärisch angefaßt. Alle unsere Lehrer waren Reserveoffiziere, der Schulleiter war ein Reservemajor. Und er hat uns auf dem Wege zum Turnen, vom Turnen und beim Turnen an exaktes, diszipliniertes Auftreten gewöhnt. Das war natürlich eine Disziplinierung im Interesse der herrschenden imperialistischen Gesellschaftsordnung. Aber wir konnten bestimmte Eigenschaften dann auch für unsere Klasse nutzen — schließlich hatten die Kämpfer der Roten Ruhrarmee das Waffenhandwerk- auch im königlich-preußischen Heere gelernt!

Nun, heute ist eine andere Situation. Unser Ziel ist es nicht und kann es nicht sein, die Jugendlichen zum Kadavergehorsam zu erziehen. Wir brauchen eine bewußte Disziplin, die innere Bereitschaft zur Verteidigung des sozialistischen Vaterlandes. Und gerade darum muß man von unseren gesellschaftlichen Organen verlangen, daß sie auf dem Gebiete der Wehrerziehung mehr als bisher tun.

Das Wichtigste ist dabei nicht einmal, ob ein Junge mit zwei Eimern auf einem schmalen Brett entlang laufen kann. Das Wichtigste ist, daß dieser Junge in dem Bewußtsein groß geworden ist, vom ersten Schultag an: Ich bin ein Bürger des 'sozialistischen Staates deutscher Nation, und ich bin bereit, diesen sozialistischen Staat mit meinem Leben zu verteidigen. Wenn er diese Einstellung besitzt, dann brauchen wir keine Blickwendung in der Schule und keinen Exerzierschritt. Nun erfordert aber eine solche Grundeinstellung — und das sind so die tausend 'kleinen Dinge der Systemverflechtung — von den Erziehern entsprechendes Wissen, entsprechende charakterliche und moralische Eigenschaften und auch bestimmte Fähigkeiten zu einer wirksamen sozialistischen Wehrerziehung. Die kann aber nicht jeder einzelne Lehrer oder Jugendfunktionär unmittelbar von der Armee erhalten, dazu reicht unsere Kraft nicht. Wer hier vor allen anderen die Verantwortung tragen, das militärische Interesse wecken, die Beschäftigung mit militärischer Literatur anregen muß, das sind in erster Linie die Funktionäre unserer Partei. Sie müssen dazu nicht unbedingt Soldat gewesen sein, obwohl das zu begrüßen ist.

Walter Ulbricht hat nie eine Militärakademie besucht, zumindest keine übliche, sondern die „Militärakademie" des politischen Kampfes gegen den deutschen Militarismus und zweier Weltkriege. Aber ich kann Euch sagen, er hat durch seine konkreten militärtheoretischen Kenntnisse, sachkundigen Ratschläge und Kritiken schon so manchen General, den Minister eingeschlossen, nicht erst einmal in Verlegenheit gebracht, das ist eine Tatsache. Er macht allerdings eines, und das gehört zu seinem Arbeitsstil:
er informiert sich nicht einfach allgemein über die Militärpolitik, sondern er studiert eisern die militärpolitische und -strategische Fachliteratur — nicht alles, das kann nicht einmal ein General, sondern nach ausgewählten, der jeweiligen Situation entsprechenden Schwerpunkten. Er hat zum Beispiel die ganzen Vorgänge während des israelisch-arabischen Krieges so gut studiert, daß wir manchmal nicht beantworten konnten, was er von uns wissen wollte, daß wir selber erst auf der Karte nachschauen mußten. Warum hat er sich mit dieser Frage so gründlich beschäftigt? Weil das für uns eine wichtige Frage ist; denn die Israelis 'haben die Strategie und Taktik der Hitlerfaschisten noch perfekter angewandt. Und die westdeutschen Militaristen haben sofort gesagt: Das ist ein Präzedenzfal'1, wie man heule noch einen Krieg führen kann, wie man .schnell vollendete Tatsachen schaffen kann. 'Genösse Ulbricht hat den politischen Inhalt dieser Frage für uns gesehen und hat das Problem studiert. Ich sage das hier, weil ich meine, daß diese Art eines Parteifunktionärs, die Militärfrage zu bewältigen, allen Genossen Ansporn und Beispiel sein kann. Es sei nochmals betont: Ihr 'könnt und sollt keine Militärspezialisten werden, außer wer Lust dazu hat und 'zu uns kommen will. Aber mit der abgeschlossenen Vortragsreihe könnt Ihr es auch nicht bewenden lassen. Betrachtet das Gehörte als Grundlage und Anregung für weiterführende persönliche Studien im Interesse unserer gemeinsamen sozialistischen Sache, im Interesse einer modernen Landesverteidigung. .Das kann schon mit der heutigen Aussprache beginnen. Soweit ich in der Lage bin, werde ich die Fragen gern beantworten. Danke schön. (Sehr starker Beifall!) Es wurde schriftlich eine Reihe von Fragen gestellt. Ich werde sie in einer bestimmten Reihenfolge beantworten, wie sich das nach Problemen am besten machen läßt.

Die erste Frage, die ich beantworten möchte, lautet: „Unsere Militärdoktrin beinhaltet, jeden Aggressor auf seinem eigenen Territorium zu vernichten. Im modernen Krieg gewinnt das Überraschungsmoment an Bedeutung, was dem Aggressor Vorteile verschaffen kann. Wie wird militärisch und militärtechnisch gesichert, daß dieser Vorteil nicht zur Wirkung kommt, angesichts der geographischen Lage der DDR?" Das ist tatsächlich nicht nur für uns, sondern für alle sozialistischen Länder eine ernsthafte Frage, die Sicherung vor Überraschungsangriffen. Es ist ja bekannt, daß die Interkontinentalraketen, nachdem sie in den USA gestartet wurden, nach 20 Minuten auf dem europäischen Festland einschlagen 'können. Dabei ist es noch relativ günstig, daß sie kurz nach dem Start durch die Satellitentechnik der UdSSR aufgeklärt und die entsprechenden Gegenmaßnahmen getroffen wenden können. Aber es geht ja nicht nur um einen überraschenden Atomüberfall, es geht ja überhaupt um das Überraschungsmoment", und das hat m allen Kriegen der Vergangenheit schon eine bestimmte Rolle gespielt, zum Beispiel im letzten Krieg der immerhin überraschende Überfall auf die Sowjetunion, wobei allerdings dieser Überfall bei richtiger Einschätzung der Lage nicht ganz so überraschend ausgefallen wäre.

Was tun wir, um auf der Höhe unserer Aufgaben zu bleiben? Es ist klar, daß unser Staat, daß unsere Armee, genau wie jede andere sozialistische oder kapitalistische Armee, Aufklärungsorgane hat, die, soweit das möglich ist, bis in die Führungsorgane des Gegners hinein arbeiten. Ich sage, soweit das möglich ist. Wir sind überzeugt, daß das dem Gegner bei uns nicht möglich ist, obwohl wir auch schon Agenten bei uns entlarvt haben. Die Lage ist für uns insoweit günstiger als für den Gegner, weil bei uns das Bewußtsein gerade dieser Leute in den Führungsorganen, die etwas wissen, ganz anders aussieht als bei den Imperialisten. Es sind alles erfahrene, im Klassenkampf bewährte Genossen, und bei ihnen kann man mit Geld und sonstigen materiellen Bestechungen natürlich nicht ankommen. Das ist bei den kapitalistischen Armeen etwas anderes, weil man dort auch mit materiellen Aufwendungen Erfolg erzielen kann. Hinzu kommt die Korruption in den höchsten Kreisen der kapitalistischen Regierungen und der kapitalistischen Armeen. Erinnert Euch nur an den ehemaligen westdeutschen Kriegsminister Strauß, .der während seiner Amtszeit ein reicher Mann geworden ist und heute dafür die Bonner Staatsfinanzen verwaltet:

Dort werden 'die Panzeraufträge nach den Geschenken und Zuwendungen verteilt und Tausende von Schützenpanzerwagen gekauft, nachdem sich einige Leute ein Holzmodell angeschaut haben.

Die sozialistischen Staaten brauchen heute ein Aufklärungssystem, das alle technischen Mittel ausnutzt .— Funk und Funkmeßaufklärung, bis zur Nutzung von Erdsatelliten — und das uns gestattet, solche Maßnahmen des Gegners sofort zu erkennen, die zu einer Aggression gegen uns führen können.

Dazu kommt, daß wir Kommunisten auf der Grundlage unserer marxistischleninistischen Theorie und der Beherrschung dieser Theorie eine prognostische Einschätzung geben können, was der Kapitalismus in diesem Maße nicht kann. Natürlich kann er auch prognostisch arbeiten, zum Beispiel über die Entwicklung der Rechentechnik, aber nicht in diesem Maße gesellschaftspolitische Prognosen geben wie wir. Das heißt, daß die Partei- und Staatsführung mit Hilfe der Armeeführung eine richtige Einschätzung des Gegners trifft, um voraussagen zu können, was er unternehmen wird. Hinzu kommen unsere eigenen Maßnahmen militärischer Art. Wir haben zum Beispiel ein sehr gutes Funküberwachungssystem. Alle Funksprücbe, die im Umkreis von einigen 100 Kilometern abgegeben werden, können wir überwachen. Wir haben davon, daß das westdeutsche U-Boot „Hai" gesunken ist, früher erfahren als die westdeutsche Marineleitung in Kiel.

Dazu kommen solche militärischen Maßnahmen wie eine starke Grenzsicherung. Unsere Deutsche Demokratische Republik hat in Europa ohne Zweifel die beste Grenzsicherung. Das kostet uns sehr viel, aber das ist unter unseren Bedingungen natürlich notwendig. Dazu kommt, daß ständig diensthabende Batterien der Flakartillerie und der Boden-Luft-Raketen sowie diensthabende Einheiten der Luftstreitkräfte bereitstellen, die innerhalb von wenigen Minuten feuerbereit oder schon in der Luft sind.

Die Funkmeßaufklärung gestattet uns, jedes Flugzeug festzustellen, das sich in Westdeutschland im Luftraum bewegt. Kommt es in eine bestimmte Nähe unserer Grenze, steigen unsere beziehungsweise die sowjetischen diensthabenden Jagdflugzeuge auf. Wir haben ein einheitliches diensthabendes System der Luftverteidigung im Warschauer Vertrag, das heißt, die Sowjetunion, Polen, die CSSR und die DDR haben ein einheitliches System von Funkmeßstationen, Jagdflieger- und Fla-Raketentruppenteilen, welches von einer zentralen Führungsstelle aus geführt wird. Wir haben auch ein ähnliches diensthabendes System unserer Seestreitkräfte. Jede Annäherung eines feindlichen Schiffes oder Bootes an unsere Hoheitsgewässer wird sofort signalisiert und löst sofortige Gegenmaßnahmen aus. Hinzu kommt die außerordentlich enge Zusammenarbeit mit den Truppen der Sowjetarmee, die auf unsere®! Territorium stationiert sind, und mit den anderen sozialistischen Bruderarmee. Aus allen diesen Gründen können wir sagen, daß ein überraschender Überfall für uns unwahrscheinlich ist, nicht ganz ausgeschlossen, aber sehr unwahrscheinlich.

Eine weitere Frage: „In der Wirtschaft gehen wir vorwiegend den Weg der Zentralisation. In den Vorträgen über die Militärpolitik wurde des öfteren darauf hingewiesen, im Ernstfalle würde die Armee auf dezentralisierter Basis aufgestellt. Wie erfolgt gegenwärtig die Vorbereitung?"

Hier scheint etwas mißverstanden worden zu sein. Bei uns gibt es zwar den Begriff „Dezentralisation", es müßte aber eigentlich heißen „Dekonzentration". Gemeint ist damit, daß im modernen Militärwesen vor allem die Standortverteilung und die Gefechtsordnung der Truppen weilgehend aufgelockert werden. Noch im zweiten Weltkrieg wurden die Verbände beim Durchbruch auf engstem Raum konzentriert tief gestaffelt und die Geschütze reihenweise aufgestellt. Beim Einsatz von Kernwaffen würde sich heute eine solche Konzentration verheerend auswirken. Eine Konzentration der Truppen erfolgt daher unter den heutigen Bedingungen nur für ganz kurze Zeit, wenn überhaupt.

Was nun Zentralisation und Dezentralisation anbetrifft, so gibt es bei uns in der Armee, von der Führung her, eine sehr starke Zentralisation. Das wird auch durch die modernen Nachrichtenmittel ermöglicht, denn ein Armeebefehlshaber kann seine Divisionskommandeure über Funk ständig erreichen — auch über größere Entfernungen, und so geht das über den Regiments- und Bataillonskommandeur bis zum Kompaniechef. Selbst dieser ist noch durch Sprechfunk ständig mit seinen Zugführern verbunden, ob sie auf dem Marsch sind oder im Angriffsgefecht. Und was die Durchsetzung der Befehle und Weisungen betrifft: Befehlsverletzungen werden bei uns bestraft, im Kriege bei ernsthafteren Auswirkungen sogar mit dem Tode. Das heißt, die Befehle des Vorgesetzten sind Gesetz. Aber im Rahmen dieser Befehle hat der Unterstellte auch die schöpferische Freiheit, entsprechend den Bedingungen selbständig zu handeln.

 

„Welche Rolle spielen die Grenztruppen im System der Landesverteidigung?"

Nach unserer Meinung eine sehr verantwortungsvolle und sehr umfangreiche, eine sehr große Rolle. Sie haben faktisch den ersten Schlag auf sich zu nehmen, die Grenzen mit aller Entschiedenheit so lange zu verteidigen, bis die Landstreitkräfte heran sind. Deshalb haben wir die Grenztruppen besser bewaffnet und ausgerüstet als früher, deswegen haben wir dort ein militärisches Regime geschaffen. Es ist bekannt, daß 1961/62 die Grenz-Iruppen dem Ministerium für Nationale Verteidigung unterstellt worden sind. Wir haben dort eine militärische Ausbildung eingeführt, wir haben unsere Kader dorthin gegeben, akademisch ausgebildete Kader zum Teil, haben Schluß gemacht mit der sogenannten „Polizei-Ideologie" und haben dort eine militärische Ordnung geschaffen. Damit will ich nicht sagen, daß die Ordnung vorher schlecht war, aber der Charakter der Grenzpolizei war ein anderer als der der heutigen Grenztruppen.

Das ist kein Vorwurf an die Genossen, die die Grenzer früher geführt haben, oder gar an die Grenzer selbst.

Zusammengefaßt haben die Grenztruppen vor allem die Aufgabe, in Friedens- und Kriegszeiten die Grenze .zu sichern. Und ich denke, daß sie diese Aufgabe, Grenzverletzungen nicht zuzulassen, sehr gut erfüllen!

 

"Welche Rolle und Bedeutung haben die Reservisten in der Armee?"

Ich möchte folgendes anführen: Im ersten Weltkrieg waren in der kaiserlichen deutschen Armee von 282000 Offizieren allein 231000 Offiziere der Reserve, das heißt 80 Prozent. Im faschistischen Offizierskorps waren es 86 Prozent'. Heule gibt es neue Momente; der

Zeitraum für eine Mobilmachung wir ohne Zweifel erheblich kürzer sein. Es wird nicht so sein wie im ersten und teilweise auch noch im zweiten Weltkrieg, daß man sich lange Kriegserklärungen in den einzelnen diplomatischen Vertretungen überreicht. Die Kampfhandlungen werden sich auch nicht erst nach vollzogenem längerem Aufmarsch entwickeln und nicht wochen- oder gar monatelang lediglich in der Grenzzone stattfinden. Folglich können wir nicht mit einer längeren Mobilmachungszeit oder mit der Möglichkeit

mehrerer Mobilmachungswellen rechnen; darum spielt die Schnelligkeit der Einberufung der Reservisten eine ganz andere Rolle als im zweiten Weltkrieg. Wir haben folglich solche Einheitlen aufgebaut, die schon für den Einsatz der ersten Staffel kriegsstark sind, weil wir keine Zeit haben werden viel aufzufüllen.

Bei der Schaffung personeller Reserven, die trotzdem notwendig sind, spielt eine große Rolle, daß die Technik gegenwärtig sehr schnell veraltet. Ein Reservist, der vor 5 Jahren aus unseren Mot-Schützentruppen gegangen ist, der kennt den T 34, der kennt aber keinen T 54 mehr. Wir haben seit der Existenz der Raketenwaffen drei neue Raketentypen eingeführt, die sich in vielen Fragen prinzipiell voneinander unterscheiden, so daß der Reserveoffizier, der den ersten Raketentyp gekannt hat, nicht sofort den zweiten und dritten bedienen kann. Das heißt, die Technik hat heute einen sehr schnellen moralischen Verschleiß. Nun, uns hilft etwas, daß sich die Technik auch in der Industrie schnell entwickelt, so daß das technische Wissen erhalten bleibt beziehungsweise sich auch weiterentwickelt.

Wir haben vor, das Reservistenproblem dadurch besser zu lösen, daß wir

a) die Möglichkeit voll ausschöpfen, die Armeereservisten durch Kurzlehrgänge heranzubilden;

b) außerhalb der Truppe eine Verbesserung der Arbeit der Reservistenkollektive auf militärfachlichem Gebiet erreichen, denn dort wird zur Zeit. zu wenig getan;

c) Studenten weitgehend militärisch ausbilden, wie das in modernen Armeen überall der Fall ist.

Wir konnten das früher noch nicht, weil damit ein großer Aufwand verbunden ist, auch materieller und finanzieller Natur.

 

„Wie ist das Verhältnis der NVA zur GST?"

Der Minister für Nationale Verteidigung ist verantwortlich dafür, einen bestimmten Einfluß auf die GST-Arbeit auszuüben, auch vom Standpunkt der Hilfe und der materiellen Unterstützung. Was wir wollen ist, daß jeder, der zur Armee kommt, ordentlich darauf vorbereitet ist. Bisher hat sich die GST zu stark darauf orientiert, daß sie uns große Zahlen melden konnte, zum Beispiel wieviel Leute die Fahrerlaubnis gemacht haben und wieviel Geld sie dabei eingenommen haben. Mich interessieren aber nicht die Finanzen, mich interessiert, daß wirklich jeder Wehrpflichtige Auto fahren kann, und zwar Lastwagen fahren kann, damit wir sie in diesen 18 Monaten nicht noch ausbilden müssen. Denn fast die Hälfte aller Eingezogenen — bei den Offiziersschülern und Unteroffiziersschülern alle — müssen ein Kraftfahrzeug fuhren können. Wenn sie Lastwagen fahren können, dann müssen wie sie trotzdem noch ausbilden im — wie wir das nennen — taktischen Fahren, entsprechend den taktischen Notwendigkeiten der Artillerie, der Raketen usw. Wir sind weitgehend motorisiert worden in den letzten zehn Jahren, gegenüber 1966 'hat sich die Zahl unserer Kraftfahrzeuge verdreifacht, dazu kommen die Panzer und sonstigen Maschinen. Ihr könnt Euch vorstellen, daß wir eine große Zahl von Kfz-Fahrem brauchen, die jetzt nicht unbedingt fähren müssen, die aber im Ernstfälle auf einen LKW gesetzt werden können.

Weiter wollen wir, daß Fallschirmspringer ausgebildet werden können, daß Flieger ausgebildet werden. Wir verlangen von der GST Nachrichtenleute, die eine bestimmte Funkqualifikation haben. Natürlich, wenn sie etwas schießen können, ist das auch nicht 'schlecht. Wir haben bei uns in der Armee die Erfahrung gemacht, daß die Leute, die von der GST mit dieser entsprechenden höchsten Qualifikation zu uns kommen, sich leichter und schneller an das Solldatenleben gewöhnen als jene, die keine GST-Ausbildung haben. Es ist im allgemeinen Interesse, wenn dort eine richtige straffe Ausbildung stattfindet und weniger auf große Zahlen als mehr auf die Qualität gesehen wird. Wir wollen, daß die wehrpflichtige Jugend vom 16. 'Lebensjahr an für den Wehrdienst vorbereitet wird. Das ist die neue grundsätzliche Aufgabe, die der GST gestellt worden ist.

Ich will Euch noch etwas sagen. Wir haben allen Grund, mit dem körperlichen Leistungsvermögen unserer jungen Wehrpflichtigen unzufrieden zu sein und von der G6T, aber auch vom DTSB und vom Schulsport größere Anstrengungen zur Verbesserung der Ausdauer, der Schnelligkeit und der Gewandtheit unserer jungen Menschen zu erwarten. Seit 1964 führen wir in jeder Neueinstellungsperiode einen Achtertest mit den Eingezogenen durch, bei dem der Durchschnitt zwar über den Mindestforderungen liegt, 20 bis 40 Prozent jedoch darunter! Diese Mindestanforderungen betragen:

  • 60-Meter-Lauf: 9,5 Sekunden
  • Handgranatenweitwurf: 30 Meter
  • 1000-Meter-Lauf: 3 Minuten 50 Sekunden
  • Klimmziehen: 4 mal
  • Liegestütz: 14 mal
  • Schlußstrecksprung: 20 mal
  • Hindernisbahn (Sturmbahn) 200 m: ? Minuten 10 Sekunden
  • Klettern am Tau: l x 4,5 Meter

Wenn 20 bis 40 Prozent diese Leistungen nicht schaffen, so zeigt das, woran es bei unserer Sportausbildung und Köpperertüchtigung fehlt, auch schon in den Schulen. Es wird viel Volleyball und Tischtennis gespielt, aber der Kraftsport kommt zu kurz. Kraft und Ausdauer sind aber notwendig für einen richtigen Soldaten, und dort liegt auch eine Aufgabe der GST.

 

„Welches sind die Aufgaben auf dem Gebiet der Zivilverteidigung?"

Auch für uns gilt das Wort Lenins: „Im Krieg dient alles der Front". Deshalb würde es die Hauptaufgabe der örtlichen Organe der Staatsmacht sein, unter der Führung der Partei solche Maßnahmen durchzuführen, wie alle wichtigen Objekte des Kreises beziehungsweise des Bezirkes zu sichern, die Produktion umzustellen auf kriegswichtige Erzeugnisse, seien es Reparaturleistungen für die Armee, sei es die Produktion von Ersatzteilen, sei es auch die Produktion von Waffen aller sonstigen Ausrüstungsgegenständen, die die Armee braucht. Aufgabe der Organe der Zivilverteidigung ist es, die Versorgung der Bevölkerung mit dem Lebensnotwendigsten sowie den Schute 'gegen chemische, atomare und bakteriologische Kampfmittel des Gegners zu organisieren. Dafür werden vor allem solche Organe und Kräfte eingesetzt, die sich heute schon mit Maßnahmen des Katastrophenschulzes beschäftigen, wie die Feuerwehren oder das Deutsche Rote Kreuz.

Ein Schutz der Bevölkerung gegen die Wirkungen neuzeitlicher konventioneller Waffen und Massenvernichtungsmittel ist möglich. Das erfordert aber vor allem die Aufklärung und die Ausbildung der Bevölkerung- in den Schutz- und Hilfeleistungsmöglichkeiten. Darüber hinaus muß jeder Bürger, ob staatlicher Leiter, Arzt, Ingenieur, Baufachmann, Produktionsarbeiter, Genossenschaftsbauer oder Wasserwerker, befähigt werden, seinen Aufgaben auch unter den Bedingungen eines Krieges gerecht zu werden.

 

„Frauen würden vermutlich erst bei Kriegsausbruch eingezogen werden. Welchen Sinn hat das, wenn zuvor keine zielgerichtete Ausbildung für den Einsatz zum Beispiel im Sanitätswesen erfolgt ist?"

Ich bin einverstanden. Es gibt bei uns eine gute Organisation, die uns sehr viele Sanitätsleute ausbildet, ohne daß sie von uns eingezogen werden und auch ohne daß sie im 'Krankenhaus arbeiten, das ist das Rote Kreuz. Man soll das nicht unterschätzen. Wir haben Zehntausende von Frauen und Jugendlichen, die in den letzten Jahren in den ersten Hilfeleistungen für Verletzte und darüber hinaus bis zur höchsten Qualifikation einer Operationsschwester ausgebildet wurden. Also es gibt Ausbildungsmöglichkeiten. außerdem gibt es bei der GST Ausbildungsmöglichkeiten, zur Vorbereitung für den 'Ernstfall. Wir haben bei der GST Fliegerinnen, Fallschirmspringerinnen, Funkerinnen, die eine sehr wichtige Rolle spielen werden. Und wir haben auch in der Armee Frauen, es ist nicht 'so, daß wir keine haben. Wir werden sogar in Zukunft mehr Frauen einstellen, um bestimmte Funktionen durch Frauen zu besetzen, damit mehr Männer an der Waffe ausgebildet werden können. Aber das ist gar nicht so einfach, da es für uns sehr viel schwerer ist, eine Frau im Dienst zu haben, als einen Mann — nicht nur wegen des Heiratens und der Kinder, die sich dann einstellen.

 

„Entsprechend der amerikanischen Militärdoktrin der 'massiven Vergeltung' gab es in der NATO zunächst die sogenannte 'Schwert und Schild'-Strategie. Diese ist doch wohl mit der Vorwärtsstrategie nicht recht vereinbar. Die Vorwärtsstrategie wurde aber schon 1950 von der 5. NATO-Ratstagung beschlossen, wie verhält sich das?"

Der Fragesteller hat vermutlich das 1964 im Dietz Verlag erschienene Buch über die imperialistischen Paktsysteme gelesen. Es ist durchaus richtig, daß man die heutige Version der Vorwärtsstrategie mit der bis Anfang der 60er Jahre gültigen NATO-Strategie der ,massiven Vergeltung' nicht recht vereinbaren kann. Die Vorwärtsstrategie wurde zwar bereits seit 1950 als in der Perspektive notwendige strategische Konzeption der NATO in Erwägung gezogen, jedoch erst nach Herausarbeitung der sogenannten Strategie der flexiblen Reaktion als praktische Planungsgrundlage für realisierbar befunden. Die NATO-Planung durchlief bis zu diesem Zeitpunkt verschiedene Etappen der Einsatzplanung für die Hauptmasse ihrer Streitkräfte.

Ging man ursprünglich bei der NATO davon aus, die Angriffsoperationen aus einer strategischen Ausgangsstellung hinter dem Rhein zu beginnen, so verschob man später diese Ausgangsstellung auf die Höhe von Weser und Lech und plant gegenwärtig .die Angriffsgruppierung der Streitkräfto unmittelbar an den Grenzen des sozialistischen Lagers. Und wenn wir clie Dislozierung der westdeutschen Truppen betrachten, dann sind die in den letzten zehn Jahren immer näher an unsere Grenze herangerückt. Worauf lassen sich diese Veränderungen in den Ansichten und in der Planung zurückführen?

  • Auf die Herstellung der vollen Aggressionsbereitschaft der Bundeswehr. Das war vor zehn Jahren noch nicht so, die Bundeswehr vor zehn Jahren war etwas ganz anderes als die Bundeswehr heute. Die Herstellung der vollen Bereitschaft zum Einsatz hat natürlich wesentlich dazu beigetragen, die strategische Ausrichtung der NATO zu ändern.
  • Auf die schrittweise Durchsetzung der strategischen Ansichten der westdeutschen Militaristen 'in der NATO. Für die Amerikaner und Engländer zum Beispiel ist es nicht interessant, ob säe wegen der westdeutschen Militaristen an der Elbe oder am Rhein einen Krieg führen. Aber die Westdeutschen haben sich mit ihrer Angriffskonzeption immer mehr durchgesetzt.

Heute ist es somit die offen erklärte Absicht der NATO, sofort mit Aggressionsbeginn auf das Territorium der sozialistischen Staaten vorzustoßen.

Das ist faktisch die Forderung der Westdeutschen seit zehn Jahren. Und sie haben sich durchgesetzt, nicht zuletzt, weil sie das einzige kapitalistische Land Westeuropas sind, das die Amerikaner voll und ganz unterstützt, insbesondere in Vietnam. Hinzu kommt, daß die Aggressivität des westdeutschen Staates selber stark zugenommen hat. Denn je stärker ihre Armee wird, desto wahnsinniger werden ihre Ansprüche, das ist ja bei den deutschen Imperialisten schon geschichtsnotorisch, durch duzendende Beispiele bewiesen.

 

„Hat die sich in Westdeutschland besonders unter der Jugend entwickelnde demokratische Massenbewegung einen merklichen Einfluß auf die ideologische Kampfbereitschaft der Bonner Bundeswehr?"

Im letzten Jahr hat sich ohne Zweifel die Zahl der Aktionen und die Breite der Bewegung gegen das staatsmonopolistische Herrschaftssystem und seine Politik der Kriegsvorbereitung vergrößert, auch und vor allem unter der westdeutschen Jugend. Aber wir Militärs müssen sehen, daß das noch keinen wesentlichen Einfluß auf die Bundeswehr hat. Die westdeutschen Jugendlichen, die heute in der Bundeswehr dienen, werden gegen uns kämpfen, wie die faschistische Jugend gegen uns gekämpft hat. Das ist unsere Auffassung, und dafür sprechen leider die Tatsachen. Und wir werden dieses Urteil erst dann aufgeben, wenn niemand mehr in der Bundeswehr kämpfen will.

Ich kannte jemanden, der in der Vergangenheit nicht geglaubt hat, daß deutsche Arbeiter Leningrad beschießen würden, die Geburtsstätte der Oktoberrevolution. Sie haben es beschossen, monatelang. Eine solche Fehleinschätzung wird uns nicht wieder passieren.

Und wenn wir heute die Lage einschätzen, bei dieser kolossalen Meinungsmanipulierung, hei dieser permanenten Verrohung und Verdummung der westdeutschen Jugendlichen durch den Springerkonzem und andere Organe — ich habe einmal im Fernsehen gesehen, was junge Leute dort für einen Unsinn erzählt haben, junge und vernünftig aussehende Menschen — dann muß man einschätzen: Der Antikommunismus ist tief in die Hirne und Herzen der westdeutschen Jugend eingedrungen. Dazu kommt diese Verrohung der ganzen Jugend, der man ja von früh auf als Ideal den Killer hinstellt und die man dazu erzieht, rücksichtslos und kaltblütig zu töten.

Ich bin sicher, daß es in Westdeutschland eine stärkere oppositiondle und demokratische Bewegung gibt als noch vor einigen Jahren. Das zeigte der diesjährige Ostermarsch, das zeigten die Kundgebungen gegen die Notstandsgesetze. Aber wir Militärs und auch wir Genossen, wir dürfen uns keine Illusionen machen. Der Einfluß der kapitalistischen Ideologie und die Manipulierung der gesamten Gesellschaft, die Erziehung zum Antikommunismus, die raffinierte ideologische Bearbeitung gerade in der Bundeswehr ist sehr groß — und von nicht geringer Wirkung.

 

„Was würden Sie als die wichtigste militärpolitische oder militärische Lehre bezeichnen, die man aus dem bewaffneten Kampf des vietnamesischen Volkes ziehen kann?"

Ich bin dieser Tage wieder mit der militärischen Gruppe der vietnamesischen Delegation, die mit uns 'Verhandlungen geführt hat, zusammengekommen. Ich muß sagen: Was ich als wichtigstes sehe und was meine volle Bewunderung hat, das ist .der Heldenmut dieses Volkes und seiner einzelnen Menschen. Und das ist nicht eine Frage allein des nationalen Bewußtseins — natürlich spielt das Nationalbewußtsein eine große Rolle, durch die jahrhundertelange Unterdrückung vielleicht eine größere als in den europäischen Ländern — das ist eine Frage ihres sozialistischen Bewußtseins! Mir scheint es die größte Lehre zu sein, welche Anstrengungen die Partei unternommen und wie sie es fertiggebracht hat, die Menschen so zu erziehen, daß sie sich bewußt sind: Wir verteidigen nicht einfach unser Vaterland, das kann jeder, das kann auch der Kapitalist, sondern wir verteidigen ein sozialistisches Vaterland, ein Vaterland der Arbeiter lind Bauern! Es ist ihnen ganz offensichtlich gelungen, ein klassenmäßiges Herangehen an die nationale Frage und damit eine klassenmäßige Haltung gegenüber dem imperialistischen Überfall in der gesamten Bevölkerung y.u erzielen. Das scheint mir die größte Erfahrung zu sein.

Die zweite Erfahrung, und die ergibt sich aus der ersten: Jeder kann kämpfen und jeder will auch kämpfen, die Frau, der Junge, der Großvater. Sie sind praktisch ein Volk, wenn ich diesen Ausdruck gebrauchen darf — er hat eine schlechte Vergangenheit in Deutschland — ein Volk in Waffen, in dem jeder kämpft.

Dazu gibt es natürlich militärische Lehren. Bestimmte Waffen haben sich dort bewährt, einige nicht. Als Beispiel möchte ich die Rolle der Rohrflak anführen. Die amerikanischen Luftgangster fliegen in Vietnam ihre Angriffe in 50, 60, 80 Meter Höhe, und dort kommt man mit der Rakete schwer heran, weil der Radarschirm sie erst ab 300 Meter sicher erfaßt. Das heißt, die gesamte Funkmeßtechnik ist noch nicht soweit, um diese 300-Meter-Grenze wesentlich herabzudrücken. Sobald ein Flugzeug diese Grenze unterfliegt, ist. es vom Radar nicht zu erfassen, und die Rakete ist deswegen nicht ins Ziel zu führen. Aber mit der herkömmlichen Flak kann man ein Sperrfeuer schießen, das in diesen geringen Höhen sehr wirkungsvoll ist. In dieser Höhe wirken sogar Schützenwaffen, wenn sie massiert eingesetzt werden.

So gibt es eine ganze Reihe von Fragen — unterirdische Anlagen, Unterwasserbrücken, Probleme der Taktik der Luftstreitkräfte — die wir studieren und über die wir uns mit den vietnamesischen und den sowjetischen Genossen konsultieren. Militärisch gesehen gibt es sehr wertvolle Erfahrungen für die Alusbildung unserer Truppen.

Natürlich wird es in Deutschland kein Vietnam geben, von der Art der dortigen Kriegführung her. Hier stoßen nicht nur wir mit den Westdeutschen aufeinander, sondern die Weltmächte, die am modernsten ausgerüsteten Armeen der Gegenwart. Aber bestimmte Kampfesformen würden auch bei uns auftreten, zum Beispiel der Tiefflug. Früher hätten uns die Flugzeugführer gesagt: „50 Meter Höhe? Ich bin doch nicht verrückt geworden, das gibt es doch gar nicht!" Heute fliegen sie schon 40, 50 Meter über die Truppen hinweg.

Es gibt also sehr viele militärische Erfahrungen, aber am beeindruckendsten ist die Kampfmoral des vietnamesischen Volkes, ohne Zweifel. Und das ist es auch, wo wir von unseren vietnamesischen Genossen das meiste lernen können, glaube ich. Und in diesem Sinne sollten wir an unsere weiteren Aufgaben in der sozialistischen Wehrerziehung, an unsere Aufgaben bei der Schaffung einer modernen sozialistischen Landesverteidigung herangehen!

Ich danke Euch für Eure Aufmerksamkeit und für die Gelegenheit, hier zu einigen Problemen unserer Militärpolitik sprechen zu können.

(Sehr starker Beifall!)

 

* Der genaue Zeitpunkt der Rede konnte noch nicht verifiziert werden. Auf grund der aktuellen Bezüge (Vietnamkrieg) gehen wir davon aus, dass die Rede zwischn den Jahren 1967 und 1971 gehalten wurde. Die Rede stammt aus dem Internet und wurde von einem Nutzer des NVA-Forums eingestellt. Der Originalverweis auf die Quelle (Link) ist mittlerweile nicht mehr existent.
(Link zum Thema im NVA-Forum: >>>)

AG Heinz Hoffmann war von 1970 bis 1972 Minister für nationale Verteidigung

 

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oker, 04.01.2009