Reden, Aufsätze und Artikel, die nach dem 01.01.2000 veröffentlicht wurden. |
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10.10.1995 | "Die Rolle der NVA während der Wende ihre „Zusammenführung“ mit der Bundeswehr" | GM a.D. Hans-Werner Deim |
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"Die Rolle der NVA während der Wende und die Besonderheiten ihrer „Zusammenführung“ mit der Bundeswehr" |
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Hans-Werner Deim, Prinz-Eugen-Kaserne, 10.10.1995 | |
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Es ist angenehm, erneut in der Hauptstadt Bayerns, bei ihren Soldaten und für Sicherheitsfragen aufgeschlossenen Bürgern sein zu dürfen. Ihnen allen einen herzlichen Glückwunsch zum bevorstehenden 40. Jahrestag der Bundeswehr! Der 5. Jahrstag der Herstellung der deutschen Einheit ist im In- und Ausland mit vielen Bilanzen bedacht worden. Grobes Fazit: Im Ergebnis der Vereinigung von Ost und West ist eine neue Republik im Entstehen, aber keine neue Armee. Dafür gibt es Gründe und Erklärungen! Ich rechne mit Ihrem Verständnis für meine Erwägungen mit den Augen des Jahres 1995 zu der uns alle berührende einmalige historische Begebenheit. Voranstellen möchte ich einiges zur Geschichte der beiden Deutschländer und ihrer Streitkräfte: dann das Phänomen des Verhaltens der NVA in der Wendezeit ein wenig enthüllen; sodann einige Besonderheiten des Einigungsprozesses, besonders auf militärischem Gebiet charakterisieren; abschließend halte ich es für geboten, etwas zu dem NVA-Bild zu sagen, das besonders die Medien und pseudowissenschaftliche Arbeiten verbreiten. ZU DEN BEIDEN DEUTSCHLÄNDERN UND IHREN STREITKRÄFTEN Unsere Nation war in der Nachkriegszeit nach dem Willen der Geschichte und des Schicksals, die sie selbst maßlos herausgefordert hatte, geteilt. Sie lebte jahrzehntelang in zwei Staaten, deren Geburt von den Siegern eher verordnet, als vom gereiften Volkswillen erstritten wurde. Beide Staaten wurden von der Teilung der Welt verursacht. Keines der deutschen Teilgebilde sträubte sich nachhaltig gegen die von den Deutschen hervorgerufene und gegeneinander gerichtete Einordnung im sich zuspitzenden Weltbürgerkampf. Die Staaten und Völker, mit denen West- und Ostdeutschland später einen engen Verbund eingingen, sahen deren wachsendes Gewicht in ihren Halberdteilwelten vorteilhaft aufgehoben. Beide Staaten erfüllten korrekt alle Vereinbarungen mit ihren Verbündeten, die sie betreffenden Beschlüsse der UNO und alle internationalen Verträge. Beide deutschen Staaten schufen sich reguläre Streitkräfte und ordneten sie in die militärische Organisation ihrer militärpolitischen Bündnisse ein. Damit nahmen sie das in der Charta der Vereinten Nationen niedergelegte Recht der individuellen Selbstverteidigung und kollektiven Verteidigung wahr. Beide deutschen Armeen verfügten über keine eigenständigen strategischen Theorien und Konzeptionen. In diesen Fragen ließen sie sich von den Erwartungen und Vorgaben der beiden Leitmächte und der operativ-strategischen Führungsorgane ihrer Bündnisse leiten. In ihrem Auftrag und ihren Aufgaben, ihrer Gliederung und Struktur, in der Theorie und Ausbildung wurden beide Armeen auf die Besonderheiten der modernen Etappe des Militärwesens ausgerichtet. Sie bestanden u. a. im Koalitionscharakter des möglichen bewaffneten Kampfes und der lagebedingten operativen Unterstellung der Gefechtspotenziale beider Armeen unter Führungsorgane der Koalitionen. Beide Armeen waren Bestandteile der beiderseits der Frontlinie des Kalten Krieges ständig entfalteten strategischen Gruppierungen der NATO und des Warschauer Vertrages. Für die Soldaten der DDR gab es Gründe genug, sich auch im Sinne des Völkerrechts für Männer und Frauen der Pflicht und der Ehre zu halten. Ihren Staat anerkannten 136 Staaten, darunter mit dem Grundlagenvertrag schließlich auch der andere deutsche Staat. Die internationale Bestätigung der Staatsqualität der DDR und ihres Status als souveränes Völkerrechtssubjekt konnten die DDR-Soldaten nicht als Irrtum der Mehrzahl der Staaten unseres Planeten ansehen. Bei ihrer Entscheidung werden diese Staaten die Erfahrungen mit dem nationalsozialistischen Deutschland, dem Vorgängerstaat der beiden modernen Deutschländer, vor ihren wachen Augen gehabt haben. Sie hatten Zeit zu erwägen, ob die DDR ein ähnlicher Irrtum der östlichen deutschen Volksteils war, wie das III. Reich ein folgenschwerer Irrtum des ganzen deutschen Volkes darstellte. Bis zu dessen Proklamation hatten sich in der Geschichte nur Persönlichkeiten, gesellschaftliche Gruppen und Schichten geirrt. Beide Armeen brachten ihren Bündnissen auf ihre Weise Nutzen. Darin sahen beide Armeen die Möglichkeit und Gelegenheit, sich nach den Bluttaten der Deutschen im 2. Weltkrieg vor der Welt und europäischen Völkern zu bewähren. Im Verbund mit den Armeen unterschiedlicher Staatengruppierungen sind sie dieser neuen historischen Mission gerecht geworden. Die ostdeutschen Soldaten gewannen Glaubwürdigkeit und Vertrauen bei den Völkern Europas, die unter der deutschen Wehrmacht und dem nazistischen Sicherheitsapparat am meisten gelitten hatten. Die Verhinderung des Hinüberwachsens des Kalten Kriegs in den Heißen wird als historische Leistung Aufnahme in die Welt- und europäische Geschichte finden. Die ehemaligen Verbündeten und viele ehemaligen Gegner sprechen der NVA ihren Beitrag für Friedenssicherung an der neuralgischen Frontlinie zwischen den beiden deutschen „Frontstaaten“ nicht ab. Beide deutschen Armeen haben in der Zeit des Kalten Krieges mit gegeneinander gerichteten Herzen und Waffen eine historische Aufgabe erfüllt. Das ist eine erstaunliche Dialektik der Geschichte. ZU EINEM HISTORISCHEN PHÄNOMEN Das Verhalten der NVA in der zugespitzten Existenzkrise der DDR im Herbst 1989 ist ein bemerkenswertes Phänomen. In historisch ähnlichen Situationen bedienten sich Staaten auch der äußersten Mittel, um den Machtverlust zu verhindern. Folgerichtig konzentrierten sich in der Phase der Annäherung beider deutscher Armeen darauf die ersten und dringlichsten Fragen. Die Antworten sind unterschiedlich geblieben. Die einen meinen, dass der „desolate“ Zustand der NVA keine andere Reaktion zuließ. Andere sehen den Hauptgrund in der Sprach- und Hilflosigkeit der militärpolitischen Führung. Wieder andere glauben, dass der Kalte Krieg ohne bewaffneten Kampf im Zentrum Europas die Möglichkeit militärischer Niederlagen ohne vorherige wütende Feuerduelle einfach einschloss. Der Hauptgrund für das außergewöhnliche Verhalten der NVA ist indessen in erster Linie geistiger Natur. Als die gesellschaftspolitische Krise sich zuspitzte, sahen viele darin den Ausdruck des umgreifenden Verlusts des sozialen Glaubens an die Machtelite und an das sozialistische Experiment. Globale und regionale Entwicklungsprozesse hatten schon eine längere Zeit Voraussetzungen dafür geschaffen, Sinnfragen als nicht ein- für allemal entschieden anzusehen. Die offenbar werdende Eigensinnigkeit der Geschichte war für manche der ausreichende Verweis darauf, dass Geschichtssinn selbst geschichtlich ist. Das Versiegen des sozialen Glaubens an die DDR beraubte sie mehr und mehr ihrer sozialen Basis und der sozialen Aktivität ihrer Bürger, ohne die kein Staat auf Dauer existenzfähig bleibt. Die seit langem offen zu Tage getretene Involution der politischen Eigenschaften und Möglichkeiten von Waffen und Streitkräften, die als Krise des Militärischen bezeichnet werden kann, mag für die durchweg professionell engagierten Offiziere und Unteroffiziere besonders Verhaltens bildend gewesen sein. Das Finden eines neuen Verständnisses zu Geschichtssinn, Wertesinn und Sinn des Militärischen war ein jahrelanger Prozess. Vor der Wende erfasste er eine Minderheit, in der Wende die Mehrheit, nach der Wende zerbröselt er; denn in der neuen gesellschaftlichen Wirklichkeit geht es nicht mehr um hehre Sinnfragen. Die durch den Menschen erlangte Fähigkeit, seiner Existenz und Geschichte selbst ein Ende zu setzen, vertiefte die Grundhaltung der NVA-Angehörigen zum Frieden als dem höchsten Gut. Er ist die Grundvoraussetzung für das Sein der Menschen und das Menschliche. Daher ist Frieden nicht mehr nur der wichtigste aller Zwecke des militärischen Dienens. Frieden ist der alleinige Zweck militärischer Tätigkeit. Die grundsätzliche Friedensfähigkeit des anderen Eigentumssystems wurde nicht mehr bestritten. Was der Außenminister der BRD Genscher vorausgesehen und treffend formuliert hatte, trat ein. Der Gegensatz der beiden Systeme und Seiten im Ost-West-Konflikt entfeindete sich. An die Stelle des „Kults des Militärischen“ traten immer mehr Dialog und Vertrauensbildung, an die Stelle der Konfrontation Kooperation. Diese Erfahrung am Endpunkt des Kalten Krieges wurde für die NVA Haltung bestimmend im Machtkonflikt in der DDR. Die Großwaffenträger wurden sich ihrer Verantwortung für friedliche Lösungen immer mehr bewusst. Als die Zeit sich wendete, ließ sich die Mehrzahl der NVA-Angehörigen davon leiten, 33 Jahre den 17 Millionen Menschen in der DDR gedient und nicht nur den Namen Volksarmee getragen zu haben. Man muss für sein Volk mit Waffen einstehen. Um das Volk kann man nicht mit der Demonstration oder gar dem Einsatz von Waffen ringen. Wenn das Volk, dessen Teil die Soldaten sind, wirklich einen neuen Willen gefasst hat, erreichen Soldaten nicht sein Umdenken. Einen militärischen Erfolg gegen das eigene Volk erringen zu sollen oder zu wollen, schlossen die Soldaten der DDR als absurd aus. Das hätte ihnen, Männern der Ehre, nur Schande gebracht. Für sie gab es nicht die Traditionslinie der Entgegenstellung des Bruchs mit dem eigenen Volk. Die NVA brachte ohne sonderliche Veranlassung von außen die Kraft zur inneren Umgestaltung der Armee auf. Damit konnte sie zwei für die spätere Vereinigung und die Lösung des inneren deutschen Militärproblems wichtige Voraussetzungen mitgestalten:
Dieses Selbstverständnis ist nicht übersteigerter Geltungsdrang der DDR-Soldaten. Abrüstungs- und Verteidigungsminister Eppelmann bestätigte es ihnen. In seinem für die Frühjahrsentlassungen 1990 herausgegebenen und in allen Truppenstandorten verlesenen Schreiben hieß es: „Ich glaube, es gehört zum Wertvollsten der Wende der DDR, dass sie friedlich vollzogen wurde. Die Armee blieb inmitten des Volkes und an seiner Seite. Selbst in den kritischsten Situationen im vergangenen Herbst hat sie diesen Platz nicht verlassen; sie ist ihrem Namen ‚Volksarmee’ treu geblieben.“ Später würdigte Herr Eppelmann auch das soldatische Lebenswerk der DDR-Soldaten. Anlässlich ihres Ausscheidens aus dem aktiven Wehrdienst mit Wirkung vom 30.09.1990 wurde auch Generalen und Admiralen eine von ihm signierte Urkunde überreicht, die folgenden Wortlaut hat: „In Würdigung gewissenhafter Pflichterfüllung spreche ich (Dienstgrad, Name) für …jährige Tätigkeit (berechnet vom Zeitpunkt des Eintritts in die KVP/NVA) in den bewaffneten Organen meinen Dank aus.“ Das waren Ehrenerklärungen oder sollten die DDR-Soldaten, Männer der Pflicht, davon ausgehen, dass das der Lockruf in die Falle für sie war. Eine offizielle Ehrenerklärung vor der Schaffung “gemeinsamer“ deutscher Streitkräfte, wie sie Bundeskanzler Adenauer vor der Gründung der Bundeswehr für die Wehrmacht abgegeben hatte, blieb aus. Die deutsche Politik billigte den DDR-Soldaten, die durch ihre Haltung der Demokratie im Osten zum Durchbruch verhalfen, nicht das zu, was sie der Wehrmacht einräumte, die bis zuletzt für den Weiterbestand des von den Völkern Europas verteilten III. Reiches focht. Anderenfalls wären alle Dienstgradgruppen der NVA, die Hoheitsaufgaben nach Recht und Gesetz der DDR erfüllt hatte, für gemeinsame deutsche Streitkräfte tauglich geworden. Manche Politiker, Politologen und Wissenschaftler bauen folgende historische Kontinuitätslinie auf: 1945 wurde nur der westliche Volksteil befreit; die Befreiung für die Ostdeutschen wurde erst 1989/1990 Tatsache. Dann muss doch der Schluss nahe liegen, dass es der Wehrmacht trotz ihres verbissenen Abwehrkampfes im Osten nicht gelang, die Landsleute ostwärts der Elbe vor dem Joch der Russen zu bewahren. Es ist nur zu hoffen, dass nicht dieser historische „Sinn“ hinter der Bezeichnung „Gediente in fremden Streitkräften“ stand. ZU EINIGEN BESONDERHEITEN DES EINIGUNGSPROZESSES Die Vereinigung der Deutschen und die Auflösung der NVA sind unerhörte Begebenheiten. Sie konnten nicht vorher geprobt werden. Sie waren gleich Prämieren. Aus meiner Sicht sind vier Besonderheiten dieses Prozesses nicht zu übersehen:
ZU EINEM NACHGEREICHTEN NVA-BILD Unmittelbar nach der Herstellung der Einheit begannen Pauschalurteile über die NVA die elektronischen und Printmedien zu überfluten. Manche fanden Aufnahme in Regierungspapieren. Heute erscheinen sie als nachgelieferte Begründung für den Umgang mit den anderen deutschen Soldaten. Lassen Sie mich die wichtigsten dieser Pauschalurteile nennen und werden! Staatsnähe. In der Bundeswehr ist das Soldatengesetz die verbindliche Grundlage für das soldatische Dienen. Es wird durch die enge Wechselbeziehung zwischen zwei Partnern, den Repräsentanten des Staates und den Dienenden, gekennzeichnet. Beide müssen sich aufeinander verlassen können. Die NVA verstand sich als eine durch Gehorsamsbeziehungen an den Staat gebundene Institution. Der Dienst und die Ausbildung in der NVA galten in der Tat als Staatsaufgaben 1. Ordnung. Sie sind nur durch Nähe zum Staat und nicht durch Distanz zu ihm zu erfüllen. Eine Armee, die dem staatlichen Gebot nicht Folge leistet, die nicht gehorchen soll oder kann, ist keine einsatzfähige Armee. Mit ihr erübrigen sich die bedeutenden Aufwendungen für alle. Parteiarmee. In allen Staaten nimmt die politische Entscheidungselite unmittelbaren Einfluss auf die Streitkräfte. Sie wäre bei einem anderen Verhältnis zu ihnen auch schlecht beraten. Diese Praxis gibt es auch in der BRD. Nach der Verfassung der DDR verwirklichte die SED ihre führende Rolle in allen gesellschaftlichen Bereichen, darunter in der NVA. Niemand fiel es bisher ein, die DDR-Wirtschaft und –Kultur z. B. SED-Wirtschaft und –Kultur zu nennen. In Afrika nannte man die NVA kritisch und respektvoll „Rote Preußen“. Sie kann nach Vertrautmachen mit den Gegebenheiten in der DDR auch durch die politische Klasse der BRD nicht als SED-Organisation angesehen werden. Die zur Lösung von möglichen Führungsaufgaben in der NVA einzig denkbaren Sicherheitsabteilungen auf der Ebene des Zentralkomitees und der Bezirksleitungen hatten dazu nicht die geringsten Voraussetzungen. Die Truppen wurden von Kommandeuren geführt, die Mitglieder der SED waren. Über sie und die Arbeit der Parteigrundorganisationen „führte“ die SED die NVA. Als die NVA sich von der SED löste, setzten die Chefs/Kommandeure ihre gewohnte Führungsarbeit selbstbewusst fort, garantierten die volle Sicherheit und Unantastbarkeit der brisanten Kampftechnik und Gefechtsmittel, gewährleisteten einen organisierten Tagesablauf in den Garnisonen und brachten ihre „unbesiegte“ Armee in die Einheit der Deutschen ein. Knochenmühle. Im Unterschied zur Bundeswehr sah die NVA bis zum Eintritt in die Phase der Selbstreformation das Hauptkriterium ihrer Existenzberechtigung nicht in der Gestaltung eines Bereichs des uniformierten Staatsbürgers, sondern des Waffen tragenden und –kundigen Verteidigers der Heimat. Der östliche Volksteil sollte sich auf seine Soldaten verlassen können. Das hatte eine harte und lastenreiche gemeinsame Arbeit von Vorgesetzten und Unterstellten zur Folge. Die Auffassungen der Bundeswehr wurden nicht geteilt, dass sich der Bürger bei den Soldaten zu allererst „wie bei Muttern“ einrichten und fühlen muss. Der Wehrdienst wurde für einen Lebensabschnitt gehalten, in dem der junge Bürger mehr geben muss, als er erhält. Auch heute noch haben Ehemalige der NVA ihre Schwierigkeiten mit offizieller Kritik und Urteilen, die sich gegen Härte und Risikobereitschaft in der Ausbildung bei Gattungen der Bundeswehr richten. Sie hielten es mit Friedrich von Blankenburg, der in seiner 1797 in Leipzig erschienen Lebensbeschreibung des preußischen Kavallerie-Generals von Seydlitz (Repintdruck, Biblioverlag, Osnabrück, S 13) dazu schrieb: „Alles was, ohne dem Dienste und der öffentlichen Ruhe nachteilig zu werden, den Geist der kühnen Unternehmung und Entschlossenheit in dem Soldaten, während dem Frieden, aufrecht zu erhalten vermag, verdient die größte Aufmerksamkeit, und es ist eine übel angebrachte Schonung, ihm dasjenige, was hierzu erforderlich ist, ersparen zu wollen. Man bildet dadurch nicht Soldaten aus, sondern Figuren von Soldaten; sie erlangen höchstens nur das, was ihnen das Ansehen von Soldaten gibt, nicht das, was zu Soldaten macht …“ Interventionsarmee. Die NVA hat nachweislich auch in Krisen und Konflikten im Kalten Krieg die Schwelle zu Menschenrechts- und Völkerrechtsverletzungen nicht überschritten. Die DDR und die NVA wurden wegen ihrer Rolle und Haltung bei den Ereignissen der Jahre 1961, 1968 und 1980/1981 durch kein internationales Gremium oder in anderem völkerrechtlichen Sinne angeklagt oder verurteilt. Von den genannten Hauptphasen des Anschwellens der Spannungen im Kalten Krieg wurden mittelbar oder unmittelbar fünf der sechs Divisionen der ständigen Gefechtsbereitschaft berührt. Die 1. und 8. MSD waren maßgeblich an der Aktion zur Errichtung der Berliner Mauer beteiligt. Die NVA hatte keinen Grund, strenger über sich zu urteilen, als es namhafte westliche Politiker taten. Franz Josef Strauß z. B. schreibt in seinen Memoiren „Die Erinnerungen“ (Siedler Verlag, 1989, S. 388) zu der sich damals neu entzündenden Berlin-Krise: „Ein in diesem Zusammenhang ausgebrochener Krieg hätte also weitgehend in Europa stattgefunden, und zwar als konventioneller Krieg, dem die USA eine nukleare Komponente hinzufügen konnten. Solche Überlegungen sind am Sonntag, dem 13. August 1961, zum Glück Makulatur geworden.“ Die 11. MSD und 7. PD gehörten zur operativ-strategischen Truppengruppierung für die Verhinderung eines möglichen Missbrauchs der zugespitzten Krise in der CSSR für militärstrategische Interessen der westlichen Konfrontationsseite. Beide Verbände betraten weder im August 1968 noch später den Boden des südlichen Nachbarlandes. Die 9. PD wurde in Planungen der Bündniszentrale einbezogen und auf ihre Rolle in ihnen orientiert. Sie fanden dank der klugen polnischen Politik keine Realisierung. Feindbild und Hasserziehung. Bundesverteidigungsminister Georg Leber sagte für die Bundeswehr durch entsprechende Passagen in der Ziffer 75 des Weißbuches 1973/74 „Zur Sicherung der Bundesrepublik Deutschland und zur Entwicklung der Bundeswehr“ vom Feindbild ab. Das im Gedächtnis Gespeicherte ist jedoch nicht so einfach wegzupostulieren. Der Blick auf das soldatische Gegenüber hat Elemente des Feindes, Gegners und Partners bis in die Phase der „Zusammenführung“ der beiden deutschen Armeen nicht so leicht voneinander trennen können. Die beiden deutschen Armeen gehörten schließlich zu unterschiedlichen Militärblöcken, die gegeneinander aufgestellt und deren Waffen gegeneinander gerichtet waren. Die Truppen lagen sich in manchen Abschnitten jahrzehntelang nur wenige Kilometer gegenüber. Dieses einander ausschließende Gegenüber- und Entgegenstehen qualifiziert das Militärwesen als Gegnerschaft und die konträren Seiten als Gegner. Beide deutsche Armeen liebten sic daher nicht. Eine von den jeweiligen Verbündeten isolierte Duellsituation zwischen beiden gab es nicht. Wäre eine der Koalitionsgruppierungen in das Hoheitsgebiet des anderen eingedrungen, hätte das tiefe Feindschaft ausgelöst. Die Soldaten beider deutscher Armeen wären bittere Feinde geworden. Als Antriebsmotor und Abwehrreaktion gegen die Existenzbedrohung hätte die Soldaten Hass erfasst. Er hätte eine andere Dimension als jener Hass angenommen, der sich höchst Affekt betont zwischen Individuen herausbilden kann. Das ist nicht die Erfindung von Ideologen, sondern die Erfahrung der Kriege und militärischen Konflikte. Für den erfolgreichen Kampf im Feuerduell um das Treffen mit dem ersten Schuss, der ersten Salve als Bedingung für das eigene Überleben reichen Befehle und Feuerkommandos nicht. In beiden Armeen war man sich dieser Zusammenhänge voll bewusst. Die persönlichen Erfahrungen der Väter vertieften sie. Der Einsatz der Vernichtungsmittel ist nie ein Akt der Liebe und Zuneigung. Bis auf den heutigen Tag gilt, dass man keine Feinde bekommt, wenn man keinen Gegner hat oder sich schafft. Meine Damen und Herren! Die eigentliche NVA, wie sie ihre Soldaten verstanden, die DDR-Bürger trotz mancher Ressentiments gegen ihr soldatisches Selbstverständnis sahen und erlebten sowie die vielzähligen Manöverbeobachter zu respektieren gelernt hatten, entschwindet. Manche DDR-Soldaten haben den verfänglichen Weg beschritten, sie allmählich mit den Augen derer zu sehen, die das künstliche NVA-Bild brauchten und brauchen. Dahinter steht das „Wenn-dann“-Argument. Nach ihm sind einige Wege verschlossen, wenn ein bestimmtes Urteil über eine bestimmte Institution gefällt werden kann. Dann bleibt von einer beträchtlichen Zahl von Möglichkeiten nur noch eine geringe gangbar. Geringschätzung und Entwürdigung wurden gewählt und erwiesen: der NVA wurde nicht zugebilligt, ihre Geschichte mit militärischen Ehren zu beenden: fast alle ehemaligen Angehörigen der NVA gehören nicht mehr den Streitkräften an; sie finden nur schwer Arbeit; ihr ehrenvoller und harter Dienst, ihre soldatischen Leistungen und Erfahrungen werden abgewertet. So war das in der Phase der Annäherung zwischen den beiden deutschen Armeen weder angedacht noch vermutet worden. Was mit den Angehörigen der NVA geschah, schlägt aus der Art der Deutschen. Es steht ihnen im lauthals erklärten Ringen um die innere Einheit der Deutschen schlecht zu Gesicht. Auch für manche Nachbarn in Ost und in West offenbart sich darin ein horrender Widerspruch zu den geistigen Voraussetzungen, die von den beiden Konfliktseiten geschaffen wurden und die die Beendigung des Kalten Krieges in allen seinen Dimensionen, auch zwischen den beiden deutschen Staaten, ermöglichten. Es sollte keinen verwundern, wenn sich die im geeinten Vaterland nicht mehr gebrauchten NVA-Soldaten ihrer Identität nicht schämen und sie sich von niemandem nehmen lassen.
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oker, 20.01.2009