Datum 07. November 1989
Ereignis 89/11/07/00/B
Quellenart Überrest
Quellennachweis BArchP, D C-20 4933)
abgedruckt in: Hertle: Der Fall der Mauer.
Quellenabschnitt S. 488
   
 

 

Minister für Auswärtige Angelegenheiten
Berlin, 7. 11.1989

Vermerk
über ein Gespräch zwischen Genossen Oskar Fischer und dem sowjetischen Botschafter Genossen W. I. Kotschemassow am 7. 11. 1989, 11.45 Uhr

Das Gespräch fand auf Wunsch des Ministers, Genossen Fischer, statt.

Genosse Oskar Fischer informierte darüber, daß im Politbüro die Problematik der Ausreisen von DDR-Bürgern und die damit verbundenen Probleme in der CSSR (Blockierung der Grenzübergangsstellen...) beraten worden sei. Es bestehe die Pflicht, die tschechoslowakischen Genossen zu entlasten. Die Grenze DDR/BRD werde nicht geöffnet, weil sie unkontrollierbare Wirkung hätte. Ebenso könne die Grenze zur CSSR nicht geschlossen werden.

Folgende Maßnahmen seien beabsichtigt:

1. Die Kampagne in den Medien, die DDR-Bürger zum Hierbleiben zu veranlassen, wird verstärkt. Es werde versucht, auch andere bestimmte Leute dafür zu gewinnen. Zugleich sollen in dieser Kampagne die Rückkehrer aus der BRD wirksam gemacht werden.
2. Die Kampagne gegen die BRD hinsichtlich der "Obhutspflicht" wird ebenfalls verstärkt. Dabei ist die Unterstützung unserer Verbündeten erwünscht. Unsere Botschafter in Westeuropa sind angewiesen, gleiches zu erwirken.
3. Der Teil des Reisegesetzes, der sich mit der ständigen Ausreise von DDR Bürgern befaßt, wird vorgezogen.
4. Mit der CSSR ist zu beraten, ob es ihr Entlastung bringen würde, ihre Grenzübergangsstelle zu Bayern* in die Ausreise einzubeziehen. Zugleich soll sie gefragt werden, ob sie die Grenze zur DDR schließen kann. Dies hieße allerdings, die gutwilligen DDR-Bürger zu bestrafen. Würde die DDR schließen, gäbe es eine Machtprobe.
5. Die DDR wird in Bonn informieren, was hinsichtlich der Ausreise von DDR Bürgern auf sie zukommt. Es wird entschieden verlangt, daß sie gegen die Einreise von DDR-Bürgern auftritt. Wir werden sie bei ihrem eigenen Wort nehmen.
6. Genosse Schabowski wird heute die Blockparteien und Genosse Jarowinsky die Kirchenvertreter über diese Dinge informieren.
7. Genosse Ziebart wird vom Minister sofort informiert, da er heute in Prag um 13.15 Uhr einen Termin bei Genossen Lenart hat.

Genossen Krenz ist die Meinung von Genossen Gorbatschow sehr wichtig sowohl hinsichtlich des gesamten Problems als auch hinsichtlich der Absichten zum Reisegesetz. Die DDR wäre für Unterstützung dankbar.

Genosse Kotschemassow dankte für die Information. Er schlug vor, als zusätzliche Maßnahme auch die ehemaligen Verbündeten (USA, Großbritannien, Frankreich) einzubeziehen, um diese zu veranlassen, Druck auf die BRD auszuüben.

Genosse Fischer hielt das für gut.

Genosse Kotschemassow sicherte die sofortige Weiterleitung nach Moskau und Rückantwort zu.
   
interne Nummer 00020

  Datum 07. November 1989
  Ereignis 89/11/09/07/A
  Quellenart Tradition
  Quellennachweis Wjatscheslaw Kotschemassow; "Meine letzte Mission"
dietz berlin, 1994 ISBN 3-320-01858-2
  Quellenabschnitt ebenda S. 185 ff
     
 
Text

Kotschemassow war im November 1989 sowjetischer Botschafter in der DDR.

Ende Oktober gab Krenz den Auftrag, einen Gesetzentwurf für das Regime an den Grenzen zur DDR und zu Westberlin auszuarbeiten. Das Dokument wurde zwar vorbereitet, erwies sich aber als unbefriedigend. Es war nicht gut genug ausgearbeitet und konnte in deser Form der Volkskanner nicht zur Bestätigung vorgelegt werden. Daneben mußten prinzipielle Fragen unbedingt noch mit den drei Westmächten und der Sowjetunion als interessierte Seiten und selbstverständlich mit der BRD und Westberlin abgestimmt werden. In einem seiner Interviews spricht Krenz davon, dasß er die sowjetische Seite über diesen Schritt in Kenntnis gesetzt habe. Ich unterstreiche, wie er sagte Kohl und Gorbatschow in Kenntnis gesetzt. Erstens heißt das noch nicht Abstimmung, und zweitens kann man das vor der Öffnung oder nach der Öffnung als faktisch vollendete Tatsache tun. Den bezug auf Gorbatschow und Kohl kann ich weder bestätigen noch dementieren. Mit Bestimmtheit möchte ich aber sagen, daß ich darüber weder von Krenz noch von irgend jemand aus der Führung in Kenntnis gesetzt wurde. Auch aus Moskau erhielt ich keine Signale in diesem Zusammenhang. Es gab, das möchte ich bestätigen, eine Abstimmung zwischen Krenz und mir zur Öffnung einifer Übergänge an der südwestlichen Grenze mit der BRD. Wir hatten dagegen keine Einwände. ...

     
  interne Nummer 00021