| Quellennachweis |
Hans-Hermann Hertle;
"Der Fall der Mauer. Die unbeabsichtigte Selbstauflösung des SED-Staates.";
Opladen 1996; ISBN – 3-531-12927-9 |
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| Hertle: |
Egon Krenz hat geschrieben, daß ihn der sowjetische Botschafter
in Ost Berlin, Wjatscheslaw Kotschemassow, um 9.00 Uhr herum anrief.
Kotschemassow habe ihm mitgeteilt, daß Moskau über die
Maueröffnung beunruhigt sei. Die Öffnung der Grenze in
Berlin sei nicht mit der Sowjetunion abgestimmt.
Von Mitgliedern der operativen Führungsgruppe wurde mir berichtet,
daß Sie an diesem Morgen auch mit Kotschemassow gesprochen
haben. Was war der Inhalt dieses Gesprächs? |
| Streletz: |
Der sowjetische Botschafter hat nach meiner Erinnerung an diesem
Morgen dreimal angerufen: um 9.00 Uhr, um 9.30 Uhr und um 9.45 Uhr.
Das erste Gespräch hatte Krenz geführt. Er sagte dann
zu Kotschemassow, ich über gebe den Hörer an General Streletz.
Er ist bei mir im Zimmer, kann besser russisch als ich und wird
Ihnen die Lage schildern.
Kotschemassow stellte mir die Frage, wer die Genehmigung zur Öffnung
der Berliner Grenze gegeben habe beziehungsweise mit wem dieser
Schritt abgestimmt worden sei. Mit ihm seien nur Maßnahmen
abgesprochen worden, die die Grenze der DDR zur BRD betrafen. Berlin
habe einen besonderen Viermächtestatus, und die Handlungsweise
der DDR-Organe habe der Autorität der Sowjetunion Schaden zugefügt.
Meine Antwort war, ich werde Egon Krenz dieses Problem vortragen,
und er möchte doch bitte in einer halben Stunde noch einmal
anrufen, dann kriegt er Bescheid.
Nach einer halben Stunde rief Kotschemassow erneut an. Ich teilte
ihm mit, daß Außenminister Fischer die Aufgabe erhalten
hatte, ihm die Zusammenhänge zu erläutern.
Gegen 9.45 Uhr erfolgte sein dritter Anruf. Botschafter Kotschemassow
teilte mir folgendes mit: Moskau ist über unsere Handlungsweise
zur Öffnung der Berliner Grenze verstimmt. Im Interesse der
Aufrechterhaltung der guten Beziehungen zwischen der Sowjetunion
und der DDR wäre es zweckmäßig, sofort ein Telegramm
von Egon Krenz an Michail Gorbatschow zu schicken und unser Vorgehen
zu begründen. Ich antwortete dem sowjetischen Botschafter,
daß ich ihn richtig verstanden habe, und versicherte ihm,
daß ich sein Anliegen sofort Egon Krenz melden werde.
Nachdem ich den Generalsekretär über den Inhalt des Gesprächs
informiert hatte, erhielt ich den Auftrag, gemeinsam mit den Mitgliedern
der operativen Führungsgruppe sofort ein Telegramm an Gorbatschow
vorzubereiten und es Krenz kurzfristig zur Unterzeichnung vorzulegen.
Gegen 11.00 Uhr habe ich das Dokument im Sitzungssaal des Zentralkomitees
Egon Krenz zur Unterschrift vorgelegt. |
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