Quellennachweis |
Hans-Hermann Hertle/Kathrin
Elsner
" Mein 9. November. Der Tag, an dem die Mauer fiel"
Berlin 1999 |
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Liebe M. und K.!
Wieder mal ein Lebenszeichen von mir, denn heute habe ich endlich mal
wieder Zeit zum Schreiben.
Was ich in den letzten 48 Stunden erlebt habe, kann ich kaum beschreiben.
Alles ist so unglaublich und unfaßbar; Tage, die ich in meinem
Leben sicherlich nie vergessen werde. Ich versuche, es in diesem Brief
ein wenig zu umreißen.
Wir standen ja nun ab 04.11. ständig am Brandenburger Tor in Bereitschaft.
Und ausgerechnet in der Nacht vom 9. zum 10.11.89 waren wir gerade 39
Mann an diesem Abschnitt (sonst 5 Kompanien). Um 0.00 Uhr hatten wir
dann Alarm, weil sie in Westberlin auf der Mauer dort Stunk gemacht
haben. Während wir dort sicherten und die Mauer-Tänzer mit
Wasser bespritzt wurden, kamen aus unserem Teil der Stadt auf einmal
300 Personen. Wir zurück, doch 39 gegen 300, natürlich total
aussichtslos.
Die Massen alle durch's Brandenburger Tor und gefeiert und gejubelt.
Wir waren dagegen total frustriert, geschockt und am Boden. Wir fühlten
uns absolut im Stich gelassen und waren fassungslos. Für viele
war eine Welt zusammengebrochen.
Heute mußten wir nun um 06.00 Uhr wieder dort stehen. Bis dahin
war eine Menge passiert. Zwischenzeitig waren 300 Personen auf unserem
Gebiet und haben unsere Mauer beschmiert und Flaschen auf unser Territorium
geschmissen.
Um 8.50 Uhr haben wir dann jedenfalls die Mauer gestürmt und alle
Personen ganz ohne Gewalt dort runter geschickt. Und dann standen wir
bis 15.00 Uhr auf dieser Mauer, mit dem Gesicht zu den Westberlinern.Und
was dann losging, war irgendwie absolute Welle. Einige beschimpften
uns total, andere wollten nur wissen, warum wir dort stehen. Die Mädels
von Westberlin haben uns teilweise ganz schön angemacht, wir wurden
mit Sarotti-Schokolade und Kaffee eingedeckt, was wir aber natürlich
nicht angenommen haben.
Alle möglichen Stimmen kamen durch, und nach einiger Zeit haben
wir uns stellenweise auch mal mit diesen Leuten unterhalten. Das Schlimmste
war, daß uns auch einige DDR-Bürger beschimpft haben, das
Allerschönste, daß ein Mädel aus Berlin-West zu mir
wörtlich sagte: "Ej, macht einen guten Sozialismus bei Euch,
dann kommen wir zu Euch rüber! Bei uns ist nämlich nicht alles
so toll, wie viele denken."
Mir hat das echt Kraft gegeben. Also, für mich war das absolut
phantastisch, dieser ganze Tag. Leider scheint es nun zum Abend wieder
schlimmer zu werden, ihr werdet ja vielleicht einiges aus den Medien
erfahren haben. Jedenfalls braucht ihr euch nicht zu beunruhigen, wir
haben im Moment alles im Griff und die Westberliner lassen uns schon
nicht verhungern.
Auf dem Rückweg übrigens wurden wir von vielen DDR-Bürgern
gegrüßt, das war auch noch nicht da. Ich glaube, der Charakter
der Grenztruppen ändert sich nun total, nicht mehr nach innen,
sondern nach außen gerichtet.
Naja, ein Weilchen müssen wir hier noch stehen, aber dann können
wir uns über alles unterhalten. Dann wird Euch sicherlich noch
einiges besser klar.
Grüßt alle lieb von mir. Ich freue mich auf Eure Post.
Tschüß.
Euer G.
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